Die großen Alpenpässe
In der früh baue ich noch meine Flaschenhalter um, damit die Trinkflaschen bei voller Fahrt nicht aus dem billigen Flaschnhalter segeln. Im "teueren" Specialized-Halter sitzen die Flaschen bombig.
Der Tag beginnt mit einer Teer-Auffahrt durch alle Dörfer, die wir gestern auf der Alternativ-Route schon passiert haben. Das heutige Profil erweckt den Anschein einer Killer-Tour. 30 Kilometer nur bergauf - insgesamt 1800 Höhenmeter am Stück. Ich glaube soviel bin ich noch nie am Stück hochgefahren. Chrissis Beine sind nach der Massage wieder fit und so kurbeln wir zunächst auf Asphalt - überholt von Beton-Mischern, LKWs und Hubschraubern - hoch bis Fumero.
Dort beginnt ein ziemlich steiler Schotterweg. Goße Steine erlauben uns keinen "runden Tritt" und saugen die Kraft nur so aus den Beinen. Mein Bike wippt wie ein Kamel. Die nicht mehr aktuelle Kinematik macht sich hier deutlich bemerkbar. Ich empfehle Chrissi, den Dämpfer zu blockieren und mache das Selbe.
Es funktioniert tatsächlich besser und wir lassen einige gestandene Mannsbilder stehen, die entnervt aufgeben und schieben. Chrissi grinst wieder von Ohr zu Ohr. Der fahrbare Schotterweg endet in einem unfahrbaren Trail. Wie fast immer müssen wir unsere Bikes die nächsten 3 km 300 Höhenmeter bis zum Paso del Alpe schieben - Tragen entfällt heute.
Oben am Pass treffen wir viele Bekannte der letzten Tage. Da es am Pass "arschkalt" ist, ziehen wir nur unsere Windwesten an und beginnen den Downhill. Entgegen Chrissis Befürchtungen müssen wir nicht schieben, sondern können den technisch anspruchsvollen Trail fast komplett fahren.
Ich konzentriere mich so auf den Weg, dass ich die Abzweigung verpasse und dies erst nach 300m bemerke (weil auf einmal zwei Biker links neben mir fahren). Ist aber zum ersten Mal auf der gesamten Tour passiert. So müssen wir wieder ein Stück zurück schieben.
Der Trail ist eigentlich vergleichbar mit dem Fimberpass, aber hier fährt Chrissi den kompletten Weg während sie vorgestern fast nur geschoben hat. Und dieses Grinsen wieder - vermutlich habe ich den gleichen, zufriedenen Gesichtsausdruck (aber ich kann mich ja nicht sehen).
Ich glaube Chrissi findet langsam Geschmack an knackigen Schotterabfahrten und bin wieder mal positiv von ihrer Fahrtechnich überrascht - nach nur 3 Jahren Training. Nach dem Trail ist der Spaß vorbei und wir strampeln auf Asphalt hoch zum Gavia Pass. Es ist saukalt, der Wind pfeift und der Weg ist ziemlich zermürbend. Als Stärkung genehmigen wir uns im Rifugio Benetta eine Erbsensuppe.
Die Aussicht ist unbeschreiblich - alle 3000er Gipfel, Gletscher, Seen und wir mitten drin. Nach der Stärkung geht es noch 100m hoch zum höchsten Pass auf diesem Alpencross - dem Passo Gavia auf 2652m. Hier fuhr auch schon einige Male der Tross der Tour de France durch. Sicherlich schneller als wir heute, aber angesichts der unzähligen Doping-Fälle in der Weiß-Socken Rennradfraktion hält sich meine Bewunderung dafür in engen Grenzen.
Nach dem obligatorischen Foto-Shooting beginnt ein Adrenalin-Teer-Downhill mit bis zu 16% Gefälle. Ich erreiche dabei eine Gechwindigkeit von über 60 km/h (Rekord auf dieser Tour). Immer wieder halten wir an und genießen die Aussicht. Das sind die versprochenen Bilder, die sich für immer ins Gehirn einbrennen.
Ein besonderes Erlebnis ist die Durchfahrt eines Tunels. Nach 50m steht man in völliger Dunkelheit und muss eine Vollbremsung hinlegen, damit man nicht gegen die Tunnelwand knallt. Dann tastet man sich langsam wie ein Blinder bis zur rechten Wand und hofft, dass in der Zwischenzeit kein Auto kommt. (TIPP an dieser Stelle - man kann auch außen vorbei)
Die Abfahrt endet in Pezzo, wo wir einem Bike Hinweisschild (auf dem eindeutig ein Specialized Bike abgebildet ist) zu Yuris Bed & Breakfast folgen. Yuri hat ein altes Haus wunderschön renoviert und bietet jetzt Übernachtungsmöglichkeiten für Gäste. Auf die Frage ob wir unsere Räder absperren müssen meint Yuri nur "Hey - das hier ist Pezzo, nicht Neapel" - Recht hat er.
Das Abendessen genießen wir in der Dorf-Pizzeria - familiär, lustig, lecker. Der selbstgemachte Schokokuchen hat die Konsistenz einer Tafel Schokolade (und vermutlich auch doppelt so viele Kalorien), und schmeckt damit auch mir. Wir bekommen noch einen Schnaps serviert, der nach frisch gemähtem Gras riecht, aber lecker schmeckt. Pezzo und der Gavia Pass sind weitere Highlights unserer Tour. Um 22 Uhr, nach der täglichen Bike-Klamotten-Wäsche ist wieder mal Schicht im Schacht..
Gedanken zum Tag:
- eine Schiebe-Passage ist nicht so schlimm, wenn die Abfahrt danach fahrbar ist
- die Herzlichkeit, mit der Biker empfangen werden überrascht mich immer wieder
- ein Glas Wein hat keinen negativen Einfluss auf Kondition und Muskulatur - allerdings nur dann nicht, wenn man es erst nach der Tour trinkt
- beim Alpencross lernen wir Orte kennen, die wir sonst nie besucht hätten.
- gut gewartete Räder ersparen eine Menge Stress